Moin
Hier in Karlsruhe wird ein Stadtbahntunnel geplant, für den gerade der Planfeststellungsbeschluss ausliegt. Ein Detail, die Breite des Fluchtweges im Tunnel, behagt mir dabei nicht, weswegen ich hier mal diesbezüglich anfragen möchte...
Das hauptsächlich verwendete Tunnelprofil (Schildvortrieb) sieht man hier, sowie 1, 2 und 3.
Der Rettungsweg hat also 70 cm Breite nominell (bautoleranzbedingt können daraus am Boden der Schildvortriebsröhre aber auch schon mal nur 65 cm werden, wenn man genauer hinguckt...) und liegt 34 cm über der Schienenoberkante.
Im Tunnel fahren ca. 7 Linien, davon 2 mit 55 cm Einstiegshöhe (2 regionale Zweisystem-Stadtbahnen nach dem erfolgreichen "Karlsruher Modell"), der Rest mittelfristig mit 34 cm Einstiegshöhe.
Beide Fahrzeugtypen sind auf die Mitnahme von Rollstuhlfahrern ausgerichtet mit passenden Bahnsteigabschnitten (bei den 55ern m.E. unzureichend, aber das ist ein anderes Thema, nix für hier...).
Demnach passt die Höhenlage des Fluchtweges exakt zur Einstiegshöhe von ca. 75% der Fahrzeuge.
Im Brandfalle im Tunnel ist also m.E. klar, was passieren wird:
Ein Rollstuhlfahrer wird versuchen sich selbst zu retten und rausrollen. Entweder er schafft es auf den 70 cm am Fahrzeug vorbei, stürzt dann aber spätestens danach ins Gleis wegen des zu schmalen Weges, oder er bleibt gleich schon am Anfang stecken und blockiert damit evtl. anderen den Rettungsweg... Ähnliches evtl. bei voluminöseren Kinderwagen etc.
Die BI gegen den Stadtbahntunnel brachte eine europäische Eisenbahntunnelrichtline ins Spiel, die 75 cm fordert, immer noch zu wenig, aber immerhin bissele mehr...
Die Reaktionen kann man hier nachlesen: Wir haben hier keine Eisenbahn und transeuropäisch schon grad gar nicht...
Der Anwalt der BI zitierte:
Auf Seite 104 [des Anhörungsprotokolls] führt Herr König (TAB) auf die Frage, wie es im Brandfall für Rollstuhlfahrer und Mütter mit Kinderwagen aussehe, aus:
"Herr König (TAB) bestätigt die detaillierte Prüfung der Pläne. Die entsprechenden Sicherheitsräume (Höhe 2 m und Breite 70 cm) seien überall eingehalten. Das Ereignis, dass ein Zug in der Tunnelröhre liegen bleibe, könne fast ausgeschlossen werden. In einem solchen besonderen Fall seien die Personen über den Notgehweg zu evakuieren. Für Kinderwagen sei dieser Weg allerdings nicht ausgelegt. Entsprechend wären auch behinderte Leute im Brandfall auf die Solidarität der Mitfahrer angewiesen."
Wie die Solidarität auf 70 cm funktionieren soll... Auch zum Tragen bräuchte man Platz, insbes. zu zweit und einer rückwärts...
Überhaupt scheint man die Möglichkeit eines Brandes im Tunnel zu verdrängen, s. u.a. Planfeststellungsbeschluss: Wenn's brennt, habe der Fahrer Anweisung, dank Notbremsüberbrückung in die Haltestelle oder ins Freie zu fahren, da wäre die Selbstrettung gewährleistet. Auf Deutsch: Im Tunnel wäre sie nicht gewährleistet und ein Konzept für ausreichend schnelle Fremdrettung fehlt, vermutlich auch nicht möglich. Der Rettungsweg ist also existentiell...
Hat man so ähnlich (Zug hat nicht im Tunnel zu halten, praktisch ausgeschlossen) nicht auch in Kaprun argumentiert?
Die DIN 18024 habe ich nicht verfügbar, aber nach all den Zitaten im Netz gehe ich davon aus, dass der Rettungsweg so 80 cm (Türen in Wohnung) bis besser noch 90 cm (Wohnungstüren, Nebengehwege, Passagen an Kassen etc.) haben müsste, damit ein Rollstuhlfahrer sich sicher selbst retten könnte (und auch nicht zur Gefahr für andere wird durch Steckenbleiben).
In der Haltestelle angekommen wird er dann konfrontiert mit einem allgemeinen Rettungsproblem für Rollis: "Die Planfeststellung ergeht unter folgenden Maßgaben: ... 2.14 Im Brandfall müssen Fahrtreppen sofort ausschaltbar sein, außerdem haben Aufzüge nach oben zu fahren und in dieser Position zu verbleiben." ... aber wenigstens wäre er schon mal aus dem direkten Feuerbereich weg...
Wie wird das Ganze von Fachleuten gesehen?
Kann man da noch was erreichen?
Immerhin fehlen ja "nur" rund 40 cm Röhrendurchmesser. Kostet zwar was, aber würden in paar Jahren die Vorschriften verschärft, wären die nicht mehr nachzurüsten: Stilllegung des Tunnels wäre die Folge ...
Könnte natürlich sein, dass die par Zusatzkosten dem Projekt das Genick brächen. Ursprünglich war es mit 496 Mio. insgesamt berechnet (samt Kriegsstraßenumbau) bei einem Kosten-Nutzen-Faktor von 1,19. Nun hat man die Kosten neu geschätzt auf 588 Mio., was bei unverändertem Nutzen einen neuen Faktor von 1,003 bringt. Geniale Punktlandung, ein Schelm, wer Böses dabei denkt... Ich hätte nix gegen ein Scheitern des Projekts, weil es nach Meinung vieler kompetenter Nahverkehrler dem Nahverkehr eher schadet als nützt (sowohl Kunden als m.E. auch Betreiber) und nur den autofahrenden City-Besuchern Vorteile bietet...
Rettungswege in Bahntunneln
Sugus hat geschrieben:Eine Gegenfrage sei mir aber erlaubt. Wie rettet sich der Rolli-Fahrer denn eigentlich aus dem normalen Wohnhaus, gerne auch mit zwei Meter breiter Treppe?
Das Problem wird mitsamt Lösungsvorschlag hier angesprochen. Es geht offenbar, wenn man nur will ...
Sugus hat geschrieben:Wer will denn schon 100% Sicherheit bezahlen?
Kopfschüttelnde Grüße aus Baden
Die Frage ist, ob das wirklich viel teurer würde...
Schaue Dir mal die 4 Profile genauer an.
Bei den ersten beiden wirst Du 1,65 m Abstand zwischen Gleismitte und Kante Rettungsweg finden, bei den letzteren beiden nur 1,50 m bei ansonsten gleichen Rahmenbedingungen (gerade Strecke, gleiche Rettungsweghöhe, ...).
Ich bin parallel der Frage auf der Spur, ob diese 15 cm Unterschied einen Grund haben oder ob man da ohne tieferen Sinn 15 cm "verschenkt" zu Lasten der Rollis, nur weil die offenbar veraltete BOStrab seit Jahrhunderten nur 70 cm für ausreichend hält. DANN wäre Kopfschütteln wirklich angesagt! Evtl. hat man also sogar 15 cm Luft im meist verwendeten Querschnitt und mit 85 cm wäre die Selbstrettung schon eher möglich ohne wirklich bedeutsame Mehrkosten, im 2. Profil hat man evtl. noch mehr Luft, bliebe nur noch das 3. aufzuweiten und evtl. das 4., wobei man dort ja schon an der frischen Luft ist, Rauchprobleme also schon weniger prekär...